7 Erfahrungen, die ich durch mein sondenernährtes Kind gemacht habe
Während der Tage, Wochen, Monate und Jahre mit einem sondenernährten Kind habe ich viel dazugelernt, und das nicht nur, weil mein Kind über fünf Jahre lang über eine Sonde ernährt wurde. Viele der Erfahrungen, die ich machte sind sicher allgemeingültig, aber vielleicht haben manche dieser Erfahrungen mehr Gewicht, wenn das eigene Kind über die Sonde ernährt wird.
1. Erwarte das Unerwartete
Eine Ernährungssonde bringt oft neue Probleme. Das kann alles sein - angefangen von der passenden Kleidung bis hin zum Umgang mit schwerem Reflux und Erbrechen nach dem Sondieren während Sie unterwegs sind. Einerseits lernt man, wie man (meistens) ruhig mit allen möglichen Situationen umgeht, die einen früher völlig aus der Fassung gebracht hätten. Auf der anderen Seite geht man nicht mehr ohne einen Ersatz für alle notwendigen Sachen außer Haus, für den Fall, dass ein Notfall eintritt.
2. Ärzte sind keine Götter im weißen Kittel
Nachdem ich mit sehr vielen Ärzt:innen und Spezialist:innen zu tun hatte, kam ich zu der Erkenntnis, dass man durch eine medizinische Ausbildung nicht unbedingt zum/zur universellen Experten/-in wird. In Wahrheit sind die besten Ärzt:innen jene, die die Grenzen ihres eigenen Wissens offen zugeben – und dann weiter recherchieren. Deshalb ist ein Gastroenterologe nicht unbedingt ein/-e Expert:in in Sachen Sondenentwöhnung, genausowenig ist es das Sondenernährungsteam, das Richtlinien für die enterale Ernährung vorgibt. Lernen Sie, Dinge zu hinterfragen, Antworten zu verlangen und sich nicht von der medizinischen Ausbildung Ihres Gegenübers einschüchtern zu lassen.
3. Ein neuer Wortschatz
Alle Eltern von medizinisch fragilen Kindern müssen sich ein komplett neues Vokabular aneignen, um die Krankengeschichte des eigenen Kindes verarbeiten zu können. Die Eltern eines Kindes mit Herzproblemen sprechen vielleicht eine ganz andere Sprache als die Eltern eines viel zu früh geborenen Kindes.
Eltern, die es mit einer Ernährungssonde zu tun haben, werden sich einen neuen Wortschatz aneignen und eine Sprache sprechen, die die unterschiedlichen Sondenarten und andere neue Begriffe abdeckt, wie zum Beispiel „Sondendependenz“ und „frühkindliche Essverhaltensstörung“. Die meisten Menschen wissen nicht, dass solche Begriffe oder Gesundheitszustände existieren – und auch viele Ärzt:innen kennen diese Ausdrücke nicht.
4. Es geht um mehr als nur Essen oder Hunger
Gutgemeinte Ratschläge darüber wie man das eigene Kind dazu bringt, normal zu essen, sind beispielsweise „Setzen Sie sich hin und essen Sie wie eine Familie.“, „Er wird dich imitieren, wenn er dich essen sieht.“, „Hast du schon versucht, ihm etwas in den Mund zu geben?“, „Was ist mit dem Essen x oder y, diese sind für gewöhnlich sehr schmackhaft.“. Man entwickelt eine dicke Haut, ein Lächeln nach außen und eine einfache Antwort auf diese Vorschläge, denn, seien wir uns mal ehrlich, sie haben doch schon alles versucht - Eltern sind nicht dumm.Aber bei der Sondenernährung und -entwöhnung geht es um mehr als nur Hunger, Essen und die Art der Speisen, die Sie Ihrem Kind anbieten. Es ist ein psychologischer und ganzheitlicher Prozess, der aus mehr Komponenten besteht als nur Hunger ist gleich Essen. Sobald die Entwöhnung vorbei ist, vergessen Ihre Mitmenschen Ihre früheren Sorgen oft und drängen Sie dazu, Ihrem Kind nur gesundes Essen zu geben. Währenddessen sitzen Sie Jahre nach der Sondenentwöhnung da, sind erstaunt und bewundern es immer noch jedes Mal, wenn Ihr Kind sagt, dass es Hunger hat, irgendetwas isst oder beim Essen ein Chaos anrichtet. Ob es Fastfood oder super gesundes Essen ist, ist egal, denn alles was zählt ist, dass Ihr Kind ISST! Und es auch genießt. In der Tat essen sondenentwöhnte Kinder oft genüsslicher und eine größere Bandbreite an Nahrung, als ihre nicht sondenernährten Freunde oder Geschwister.
5. Verlassen Sie sich auf Ihren Instinkt und vertrauen Sie Ihrem Kind
Eine der größten Erfahrungen für alle Eltern ist es, ihren Instinkten zu vertrauen, wenn es um das eigene Kind geht und umgekehrt, auch ihrem Kind zu vertrauen. Eltern sind mit einer Flut an Informationen darüber, wie man zu perfekten Eltern wird, konfrontiert und die meisten Informationen sind widersprüchlich. Dann bekommen sie auch noch Ratschläge von Ärzt:innen, der Familie, Richtlinien für die Ernährungssonde... aber nur die Eltern kennen das eigene Kind wirklich.
Viel zu oft werden die Sorgen der Eltern ignoriert oder es wird ihnen keine Bedeutung beigemessen, weil sie ja „nur von den Eltern“ kommen. Jedoch verbringen nur die Eltern mit dem Kind so viel Zeit und pflegen es. Vertrauen Sie Ihren Instinkten und haben Sie keine Angst davor, sich für Ihre Familie und Ihr Kind einzusetzen.
6. Es geht um ein Kind, nicht um eine Krankengeschichte
Die Entwöhnung von der Sonde und ihre endgültige Entfernung haben es mir erlaubt, für mein Kind eine Mutter zu sein, anstatt einer 24-Stunden-Pflegerin und anstelle ständig nur die Krankengeschichte meines Kindes zu sehen. Nun ist es vorbei mit dem ständigen Wiegen und Kalorienzählen, und auch mit der Sondenabhängigkeit und das brachte ein lang ersehntes Stück an Normalität in unser Leben. Ich prüfe mein Kind nun einfach auf seine allgemeine Gesundheit und sein Wohlbefinden – hat er Energie? Ist er gut gelaunt?
7. Die Kraft von Hoffnung und Glaube
Die letzte und eindringlichste Erfahrung, die Sie mit einem medizinisch fragilen Kind oder Kind mit gesundheitlichen Problemen machen werden, ist zu erkennen, was im Leben wirklich zählt; dass Hoffnung und Glaube einem im Leben unglaublich viel Kraft geben und auch dazu, anderen zu helfen, ihr Potenzial auszuschöpfen.
Vor unserer Entwöhnung wurde mein Sohn von einer Expertengruppe (nicht NoTube) untersucht, die feststellte, dass er nicht in der Lage sei, den Zusammenhang zwischen Essen und Hunger herzustellen oder überhaupt etwas zu verstehen. Ich wusste, dass diese Einschätzung falsch war und habe immer daran geglaubt, dass er mit der richtigen Hilfe irgendwann nicht mehr sondenabhängig sein würde.
Als wir die Sondenentwöhung mit NoTube erfolgreich beendet hatten, habe ich erkannt, dass der größte Unterschied, den die Entwöhnung für unser Leben gebracht hat, darin bestand, dass man an mich und meine Instinkte und Fähigkeiten als Mutter bedingungslos geglaubt hat.
Sie erkannten die Hoffnung, die ich für mein Kind hatte und den Glauben an mein Kind an und sie glaubten an mich und bestärkten mich.
Unsere Kinder haben entgegen jeder medizinischen Statistik in ihrem Leben schon vieles geschafft. Unsere Hoffnung und unser Glaube an sie haben ihnen dabei geholfen und werden es auch in Zukunft tun. Wenn Sie die Welt verbessern möchten, dann setzen Sie in jemanden Ihre bedingungslose Hoffnung, selbst wenn dieser jemand ein Fremder ist und glauben Sie an denjenigen. Das kann sein Leben verändern!